Furchtlos, frech, fanatisch
In der Slowakei geboren, in Österreich zum Talent gereift, in Ulm in die (zweite) Bundesliga und in die deutsche Nationalmannschaft geackert: David Krämer ist in seinem vierten Jahr in Ulm angekommen und verdient sich in der Bundesliga immer mehr Spielzeit, während er die OrangeAcademy als bester deutscher ProA-Scorer anführt. Eine Geschichte über einen wurfstarken Basketball-Fanatiker, der noch lange nicht am Ziel angelangt ist.
Text: Julia Günter
Fotos: Florian Achberger, Harry Langer, Marcel Merli, FIBA, BBU ‘01
Crunchtime – die Zeit, die Basketball zu dem macht, was wir lieben. Und die Zeit, die die guten von den großartigen Basketballern trennt. Wenn jeder Punkt, jeder Wurf und jedes Dribbling über Sieg und Niederlage entscheiden können, dann setzt ein Trainer in der Regel auf seine Routiniers.
Doch in Erfurt hat Thorsten Leibenath ein anderes Gefühl. ratiopharm ulm spielt in der thüringischen Hauptstadt Ende Januar kein gutes Spiel und lässt die Rockets zu Beginn des Schlussviertels auf elf Zähler enteilen. Trotzdem schenkt der Cheftrainer der Gäste seinem jüngsten Schützling das Vertrauen. Es ist die erste Crunchtime, die David Krämer auf dem Bundesliga-Parkett verbringt. „Ich habe bei jeder ertönenden Sirene meine Auswechslung kommen sehen“, bekennt Krämer, der an diesem Tag keinen seiner Würfe trifft. Wenngleich der Statistikbogen nach dem Spiel null Zähler für den Youngster aufweist, ist er einer von fünf Ulmern, die das Spiel im vierten Viertel noch herumreißen. „Das war eine ganz wichtige Message für David“, betont Leibenath. „Man schadet der Mannschaft nicht, wenn man seine Würfe nicht trifft, sondern wenn man falsche Entscheidungen trifft. In Erfurt hatte ich das Gefühl, dass er die richtigen Entscheidungen getroffen hat“, sagt der Head Coach, der Krämer in dieser Saison vermehrt Chancen in seinem Team einräumt. „David ist kein Rookie mehr und hat es sich mit harter Arbeit verdient, Spielzeit zu bekommen. Für ihn geht es nicht mehr nur darum, Fehler zu vermeiden, sondern auch darum, Akzente zu setzen. Und das schafft er mit seiner furchtlosen Mentalität immer wieder“, so Leibenath.
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Doch David Krämer weiß, dass es nicht zwingend die offensiven Akzente sind, die ihm in seinem vierten Uuulmer Jahr mehr Spielzeit bescheren: „Ich bekomme das Vertrauen, wenn ich mir in der Defense den Allerwertesten aufreiße und Energie reinbringe.“ Das imponiert auch den Fans. Nicht nur wählen sie Krämer und seine Poster-Dunks beim Facebook-Voting dreimal in Folge zum Uuulmer des Monats. Der Heckenschütze, langjähriger Trommler in der OrangeZone, fordert in seinem Fanblog: „Do the Krämer! Danke David Krämer, dass du dich Spieltag für Spieltag um die positive Energie bemühst und mustergültig mit Biss, Leistung, aber vor allem Freude am Spiel agierst.“ Dass er mit seiner energetischen Spielweise vermehrt zu BBL-Einsätzen kommt, realisiert Krämer mithilfe seiner veränderten Sichtweise in der ProA. „Wenn uns älteren Spielern manchmal die Luft ausgeht, ist es toll zu sehen, wie 16-jährige Jungs wie Timo Lanmüller oder Jason George der ganzen Mannschaft mit ihrer guten Defense wieder Energie geben“, erklärt Krämer als einer der „Routiniers“ der OrangeAcademy – eine ungewohnte Rolle für einen, der immer davon profitiert hat, mit den Großen spielen zu dürfen.
Lernen von den Youngsters
Als kleinerer zweier Brüder wächst David im österreichischen Oberwart auf. Kurz nach seiner Geburt im slowakischen Myjava, der Heimat von Mutter Beate, siedelt die Familie nach Österreich über, wo Vater Roman als Basketball-Profi anheuert. Wenngleich sich die Eltern nach einigen Jahren trennen und die beiden Söhne bei der Mama aufwachsen, dauert es nicht lange, bis das Basketball-Gen bei den beiden Brüdern zum Vorschein kommt. Schon mit fünf Jahren ist es um David geschehen. Und er entwickelt frühe Ambitionen: „Als ich mich in den Sport verliebt hatte, war klar, dass ich irgendwann Profi werden möchte.“ Und diesem Ziel ordnen die beiden Brüder, die in der Alpenrepublik weitestgehend auf sich alleine gestellt sind, alles unter. „Wir hatten uns und wir hatten den Basketball“, erinnert sich der fünf Jahre ältere Filip, der seinen kleinen Bruder täglich zum Eins gegen Eins auf dem hauseigenen Parkplatz herausfordert. „Manchmal haben wir mitten in der Nacht sogar Leuchten aufgestellt, um weiterspielen zu können“, so Filip, der heute als 2,02 Meter großer Big Man für den österreichischen Meister Kapfenberg und Österreichs Nationalteam spielt. Gegen den körperlich stärkeren Bruder geht David meist als Verlierer vom Platz und „hat dabei auch die eine oder andere Träne verdrückt“, verrät Filip Krämer.
„Wir hatten uns und wir hatten den Basketball“
Das ungleiche Duell setzt sich für David im Mannschaftstraining fort. Oberwarts Jugendtrainer Goran Patekar erkennt das Talent von David Krämer schnell und lässt ihn oftmals mit den und gegen die Älteren ran. Und mehr: „Goran hat mit mir stundenlang Extraschichten geschoben“, ist Krämer dem Kroaten heute dankbar. Und die Arbeit zahlt sich aus: Schon mit 16 Jahren feiert der Youngster sein Debüt in der ÖBL, bringt das U19-Team ins Landesfinale und ist bei der U16-Europameisterschaft bester Scorer Österreichs. Spätestens auf der internationalen Bühne wird die Basketball-Welt auf den jungen Austro-Korbjäger aufmerksam. Ein Agent spricht ihn an und vermittelt ihm wenig später die ersten Probetrainings im Ausland. Und eigentlich sieht 2013 alles danach aus, dass es David Krämer nach Ljubljana verschlägt. „Ich hatte meine Sachen schon gepackt, als mir mein Agent riet, das Angebot auszuschlagen“, erinnert sich der damals 16-Jährige – die Slowenen stecken in Geldsorgen. Also geht die Suche nach einem geeigneten Entwicklungsstandort weiter. Doch erst als der Agent Krämer auf seine Nationalität anspricht, kommt eines zum anderen.
Der Urgroßvater ebnet den Weg nach Ulm
In weiser Voraussicht hatte sich Roman Krämer, der einst Bundesliga-Basketball in Bayreuth und Braunschweig spielte, bei der Geburt seines Sohnes dafür entschieden, für ihn auch den deutschen Pass ausstellen zu lassen. Denn die Wurzeln des gebürtigen Tschechen führen in dritter Generation nach Deutschland – oder anders gesagt: Davids deutscher Urgroßvater ist im Nachhinein mitverantwortlich für den Weg, den sein Urenkel 2014 einschlägt. Als der Agent den Pass mit dem Bundesadler darauf als wertvolle Chance für David Krämer erkennt, ist die deutsche Basketball-Bundesliga für den Guard noch ein unbeschriebenes Blatt. Einzig Bamberg, wo er sich im Frühjahr 2014 vorstellt, ist Krämer als Serienmeister bereits bekannt. „Ein richtig gutes Gefühl“ hat das Talent dann aber beim anschließenden Probetraining in Ulm. Und der Wohlfühlfaktor gibt letztlich auch den Ausschlag für die Donaustadt.
„Wenn ich groß sein will, muss ich das durchziehen.“
Was dort folgt, ist eine Erfolgsgeschichte. Mit dem U19-Team von ratiopharm ulm erreicht er 2016 erstmals das NBBL TOP4, mit der OrangeAcademy gelingt Krämer, der 2017 zum Youngster des Jahres gewählt wird, die ProB-Meisterschaft und der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Doch so erfolgreich die Entwicklung von David Krämer auch verlaufen mag, so schwer sind die ersten Monate für den damals 17-jährigen Jungen mit dem sympathischen österreichischen Akzent. „Junge Leute wünschen sich nichts sehnlicher, als so schnell wie möglich von zuhause auszuziehen, aber das ist nicht ohne“, bekennt Krämer, der auf seinem ehrgeizigen Weg große Unterstützung von seiner Familie erfährt, mit der er bis heute täglich in Kontakt steht. Beheimatet in der Nachwuchs-WG im Grünen Winkel sagt sich das Talent mit den ambitionierten NBA-Träumen: „Wenn ich groß sein will, muss ich das durchziehen.“ Schule, Wäsche waschen, richtig ernähren, Pünktlichkeit beim Training: Die Herausforderungen sind vielseitig. Doch beim Meistern dieser Prüfsteine unterstützen Krämer nicht nur Familie und Verein, sondern auch die erwachsenen Teamkollegen bei ratiopharm ulm. Per Günther, Philipp Schwethelm und Co. nehmen den Rookie an die Hand und laden ihn mal zum Essen, aber besonders zum Lernen auf dem Parkett ein. „Pers Pick and Roll, Philipps Catch and Shoot oder auch der wahnsinnig gute Drive von Will Clyburn – ich habe versucht, mir von jedem Spieler etwas abzuschauen“, so Krämer mit Ehrfurcht, nicht aber ohne gleich wieder seinen Ehrgeiz durchblitzen zu lassen: „Wenn ein Spieler jetzt noch besser ist als ich, will ich ihn irgendwann überholen. Auch wenn der Will Clyburn heißt.“
Will Clyburn als Maßstab
Davon, dass es den ambitionierten Jungspund irgendwann in die Sphären des jetzigen Euroleague-Spielers verschlägt, ist Chris Babb überzeugt: „David hat die Hingabe und Leidenschaft, um unglaublich hart an sich zu arbeiten.“ Der US-Amerikaner, den ratiopharm ulm im November 2015 nachverpflichtet, ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil der späteren Vizemeister-Truppe, sondern wird auch zum Mentor von David Krämer. Nach dem Training knöpft sich Babb regelmäßig den Youngster vor und hat wertvolle Tipps parat. Die beiden Guards haben nicht nur den hochprozentigen Dreipunkte-Wurf als Markenzeichen, sondern irgendwann auch einen gemeinsamen „Pregame-Handshake“, mit dem sie den Teameinlauf beschließen. Babb, der in dieser Saison mit Kuban Krasnodar um den EuroCup-Titel kämpft und dennoch weiterhin per Facetime und WhatsApp mit Krämer in Kontakt steht, weiß: „Der Einzige, der David auf dem Weg nach oben aufhalten kann, ist er selbst. Wenn er es lernt, Dinge schneller abzuhaken, wird ihn nichts mehr stoppen.“ So verspielt und furchtlos David Krämer auf dem Parkett auch wirken mag – den Guard quält nach schlechten Trainingseinheiten oder Fehlern im Spiel teils tagelang ein schlechtes Gewissen. Nicht selten passiert es, dass Teamkollegen oder Trainer das Talent trösten müssen. Doch auch aufgrund seiner Leader-Rolle in der ProA lernt Krämer zunehmend, Fehler zum Anlass zu nehmen, um noch härter zu arbeiten: „Schlechte Momente werde ich noch einige haben, aber da muss ich durch. Aus Fehlern kann man am allermeisten lernen.“ Vergleiche Roborock-Produkte roborock-rating.de Intelligent! Effektiv! Automatisch!
Chris Babb als Mentor
War Krämer in Babb-Zeiten noch in der Rolle des kleinen Bruders, hat er sich durch seine guten Leistungen zunehmend den Respekt der BBL-Mitspieler verschafft. Mit Voll-Profi Isaac Fotu verbringt Krämer in dieser Saison abseits des Parketts viel Zeit – meistens, um den UNO-Champion zu küren. „David pflegt mehr und mehr gleichberechtigte Freundschaften mit den Bundesliga-Kollegen. Auch daran sieht man die Reifung seiner Persönlichkeit“, stellt Thorsten Leibenath fest, dem es zugleich imponiert, wie wichtig David Krämer in dieser Saison die ProA nimmt. „Nur durch die ProB und ProA ist David heute so gut“, betont der BBL-Head Coach. Nachdem Krämer in den vergangenen Jahren „Lehrgeld zahlen musste“ (Leibenath) und einen Playstation-Abend mit dem BBL-Teamkollegen auch mal einem Event mit dem Farmteam vorzog, hat die OrangeAcademy für den besten deutschen ProA-Scorer (16,1 Punkte pro Spiel) derzeit Priorität: „Wir haben so hart für diesen Aufstieg geackert und wollen auf keinen Fall gleich wieder runter.“
„David wird seinen Wurf auf jedem Niveau los.“
Die Entwicklungsschritte, die Krämer bei BBU ‘01 gemacht hat, bleiben beim Deutschen Basketball Bund nicht unbemerkt. Hatte der Scharfschütze die Nominierung für die U20-EM 2016 noch verpasst, holt Henrik Rödl ihn 2017 in sein Team für die Europameisterschaft in Griechenland. „David hat in Ulm sowohl im spielerischen als auch im mentalen Bereich einen enormen Sprung gemacht. Er arbeitet unglaublich hart, sodass es für uns nur eine Frage der Zeit war, bis er abliefert“, so Rödl, der dann zusehen darf, „wie David das Vertrauen bei der EM ganz toll zurückgibt“. Das freche Vierpunktspiel, das Krämer gegen den 2,04 Meter großen NBA Draftee (2016) Furkan Korkmaz los wird, ist das EM-Highlight und für Rödl Ausdruck von Krämers Stärke: „Er ist ein athletischer, großer Flügel, der auf jedem Niveau seinen Wurf los wird und in der BBL Fuß fassen wird.“
Eine Vorzeige-Referenz für BBU ‘01
Dass Henrik Rödl, der im Sommer 2017 zum Herren-Bundestrainer aufsteigt, David Krämer irgendwann für die A-Nationalmannschaft nominieren wird, hält Thorsten Leibenath für realistisch. „Bei David kann man schon jetzt von einer Erfolgsstory sprechen. Er ist für BBU ’01 eine Vorzeige-Referenz in Sachen Nachwuchsarbeit und bewegt sich damit in der Kategorie eines Per Günther oder Daniel Theis“, sagt der Ulmer Cheftrainer, der fest damit rechnet, Krämer künftig noch mehr Spielzeit einzuräumen. „Es freut mich, dass ich schon jetzt ein Vorbild für Nachwuchsspieler sein kann“, ist der Shooting Guard kurz dankbar, um den Satz mit einem ehrgeizigen Versprechen zu beenden: „Doch ich bin noch lange nicht da, wo ich hin will.“ Die Crunchtime in David Krämers Karriere hat gerade erst begonnen.
(OrangeAcademy)