Joan Rallo Fernandenz ist neuer Cheftrainer der Licher BasketBären. Der 31 Jährige übernahm im Sommer den Posten von Steven Key. Er wird gleichzeitig als Jugendtrainer beim Kooperationspartner der GIESSEN 46ers eingesetzt. Nach zwei Jahren bei den Artland Dragons, wo er unter anderem in Zusammenarbeit mit Florian Hartenstein die Geschicke der dortigen JBBL-Mannschaft verantwortete, leitete der Spanier in der preseason eine nachhaltige Verjüngung des Bärenkaders ein. Zwei Wochen vor dem ersten Heimspiel gegen die SKYLINERS Juniors (26.09., 20:00 Uhr) stellt sich Rallo Fragen zu seiner Person, Kaderplanung, Saisonvorbereitung und den Aussichten der Wetterstädter in der kommenden ProB-Saison.
Licher BasketBären Head Coach Joan Rallo Fernandenz
Herzlich willkommen in Mittelhessen, Joan Rallo! Wie haben Sie sich in Lich und Gießen eingelebt?
Die Akklimatisierung war kein großes Problem. Ich komme einerseits aus einer großen Stadt wie Badalona mit über 200.000 Einwohnern, habe andererseits zwei Jahre im beschaulichen Quakenbrück gelebt. Hier in Mittelhessen gibt es eine gute Mixtur mit dem ruhigen Lich auf der einen und dem etwas lebhafteren Gießen auf der anderen Seite. Auch Frankfurt ist direkt um die Ecke.
Ihre familiären und basketballerischen Wurzeln liegen im katalonischen Badalona, das zur Metropolregion Barcelona zählt.
Badalona und Barcelona sind beides basketballverrückte Städte. Man merkt aber deutlich, dass in meiner Heimatstadt der Basketball klar an erster Stelle steht. Ich arbeitete dort vor meinem Schritt nach Deutschland in Jugendprogrammen und als Nachwuchstrainer von Spielern verschiedener Altersklassen.
Daher kommt Ihr Faible für die Nachwuchstalentförderung?
Joventut de Badalona trägt die Jugend ja bereits im Namen. Keine Jugend, kein Badalona, dieses Credo haben die Fans verinnerlicht. Ob ihr Team gerade verliert oder gewinnt – völlig egal – wenn ein junger Spieler zu seinem ersten Einsatz kommt, unterstützen ihn die Fans frenetisch. Darauf sind wir stolz, das ist der Geist von Joventut. Es ist mir deswegen eine Herzensangelegenheit, Jugendspieler sukzessive heranzuführen, ihnen Chancen einzuräumen. Sie verdienen es, zu spielen, weil sie immer gewinnen und sich gleichzeitig weiter entwickeln wollen und viel Ehrgeiz mitbringen.
Wie kam es dann vor zwei Jahren zum Schritt nach Deutschland?
In meinem letzten Jahr in Katalonien begann ich mich zu fragen, wo ich beruflich hin möchte und wie es weiter gehen soll. Nicht zuletzt bedingt durch die Finanzkrise entschloss ich mich nicht nur meine Heimatstadt zu verlassen, sondern auch mein Heimatland. Neben Kultur und Sprache entschloss ich mich für Deutschland, weil ich den Eindruck habe, dass der Basketball hier im Kommen ist. Die Ligen professionalisieren sich stetig, an vielen Stellen kann man Entwicklung und Veränderung spüren. Man gab mir im Artland die Chance, abermals im Jugendbereich als Trainer und Koordinator tätig zu sein. Es ist eine emotionale Angelegenheit, jungen Talenten bei der Entwicklung zuzuschauen und diese fördern zu können. Als fremder Coach in einem neuen Land ist es schwer, Fuß zu fassen, weshalb ich der Quakenbrücker Organisation dankbar bin und nur Gutes über meine Zeit im Artland sagen kann.
Was waren nach dieser Zeit die Gründe für einen Wechsel nach Lich?
Um ehrlich zu sein: Ich schaue mir sehr viele Basketballspiele an. Unmengen aus mehreren Ligen, insbesondere von Spanien und Deutschland. Nicht live natürlich, das ist nicht möglich, aber über das Internet. Lich war mir daher bereits früh ein Begriff. Zudem spielten wir viermal gegen die Jugendauswahl der GIESSEN 46ers, dem Kooperationspartner der Bären. Drei Dinge gaben den Ausschlag. Erstens die starken Talente in Mittelhessen, die ich in diesen Partien kennen lernen durfte. Zweitens beeindruckte mich der Schriftzug „Tradition ist 1846“ auf den Shirts der Gießener Spieler. Traditionsbewusstsein und die Existenz vieler verschiedener Teams in JBBL, NBBL, ProB und BBL – das erinnerte mich an Badalona, so etwas gibt es in Quakenbrück leider nicht. Daran schließt sich drittens die hohe Identifikationsbereitschaft von Spielern und Fans zu einem Team an. Spieler wie Daniel Dörr und natürlich Viktor Klassen leben diese Identität zu ihrem Club. Dies ist eine Grundvoraussetzung, um Basketball in ganz Deutschland voranzubringen. Und leider eine Seltenheit. Sehr viele Teams wechseln ihre Kader nach einer Saison fast komplett aus. Verwunderlich daran ist, dass sich viele Anhänger daran nicht weiter stören. In Lich und Gießen ist das anders.
Mit Konstantin Kovalev, Simon Kutzschmar, Bjarne Kraushaar, Moritz Overdick und Max Mayer wechselten gleich mehrere junge, talentierte Spieler nach Lich. Welche Ihrer Erfahrungen im Jugendbereich möchten Sie an diese Spieler weitergeben, was ist bei der Arbeit mit Nachwuchstalenten besonders wichtig?
Team, Management und Fans gehören zusammen und müssen Hand in Hand gehen. Junge Spieler sind noch sehr emotional. Sie wollen immer gewinnen und besser werden, müssen gleichzeitig aber an ihre Ausbildung denken. Eines Tages wirst du auf sie stolz sein, auch wenn sie vielleicht längst nicht mehr für dein Team spielen. Sportliche Entwicklung gelingt nicht über Nacht, weshalb man sie trotzdem schon heute unterstützen muss, wo man kann. Das ist meine Grundüberzeugung. Weitergeben möchte ich an sie, dass sie stolz sein müssen, für Lich zu spielen, und wir – Team, Organisation, Fans – müssen heute schon glücklich sein, dass sie für uns spielen. Um dies zu gewährleisten vermittele ich ihnen, dass sie um jeden Ball kämpfen müssen. Die Fans sollen stolz auf sie sein. Wir wollen gewinnen, auch wenn ich nicht versprechen kann, dass wir in jedem Spiel siegreich sein werden.
Wie würden Sie Ihre Spielphilosophie beschreiben?
Kämpfen, rebounden, verteidigen! [er muss lachen] Nein, das ist ein beliebter Witz unter Coaches, weil es so ein leerer, selbstverständlicher Gemeinplatz ist. Es ist natürlich immer schwer, die eigene Spielphilosophie prägnant zusammenzufassen. Ich kann zumindest sagen, wer zu meinen großen Vorbildern zählt: der erfolgreiche spanische Coach Aíto García Reneses. Er feierte mit dem FC Barcelona viele Titel und trainierte von 2003 bis 2008 auch Joventut Badalona. Schon in den 1980er Jahren wandte er sich von der Grundüberlegung ab, mit einem möglichst kleinen Kader anzutreten. Er prägte die Philosophie, lieber mit zehn Spielern zu spielen, die sich ergänzen und entlasten können, damit sie während ihrer Zeit auf dem Feld in jeder Sekunde 100% geben können. Das ist gerade in der deutschen ProB nicht unwichtig, wo wir es mit vielen athletischen Teams zu tun bekommen werden. Da ist es wichtig, jede einzelne Minute alles zu geben und häufig zu wechseln. Eine defensive Auslegung ist mir wichtig. Ich bin mir sicher, dass die Zuschauer unser Spiel genießen werden.
Mit Nil Angelats gehen die BasketBären mit einem neuen Aufbauspieler in die Saison. Als Ihr Wunsch-Point-Guard soll er viel Verantwortung übernehmen. Wo liegen seine Stärken?
Obwohl er auch aus Katalonien kommt kannte ich ihn nicht persönlich. Auf ihn aufmerksam wurde ich durch die vielen Basketballspiele, die ich mir anschaue. Aufbauspieler müssen den kommunikativen Austausch mit ihrem Coach zu pflegen wissen: das beherrscht er. Ich bevorzugte einen „Euro-Point-Guard“. Nils guter Leumund unter anderen Trainern bestätigte sich: er fügt sich perfekt in die Teamchemie ein. Er hat einen scharfen Schuss aus der Distanz und kann sich eigene Körbe erarbeiten. Aber er ist kein klassischer amerikanischer Point Guard, der hin und wieder mit verrückten Abschlüssen ein Spiel binnen Minuten zu drehen vermag. Stattdessen fokussiert er sich auf das Passspiel, Nil will in erster Linie seine Mitspieler besser machen.
In drei Wochen beginnt die Saison mit dem Hessenderby zu Hause gegen Frankfurt. Wie bewerten Sie den bisherigen Verlauf der Vorbereitung?
Wie jeder Trainer kann ich das nur mit der Floskel beantworten, dass wir noch mehr Zeit bräuchten. Aber ich bin zufrieden mit der bisherigen Vorbereitung. Zufrieden, aber nicht glücklich. Wir haben gegen viele ProA-Teams verloren, und obwohl wir in vielen Phasen auf Augenhöhe agierten, möchte man natürlich am liebsten immer gewinnen. Offiziell endet die Saisonvorbereitung mit dem ersten Spieltag. Ich rechne jedoch fest damit, dass wir uns gerade im Laufe der Saison noch stark weiter entwickeln werden. Das Team wurde neu zusammengestellt, wir haben viele junge Spieler. Da haben es Mannschaften wie Iserlohn natürlich leichter, die mit Matthias Grothe auf der Trainerposition und vielen Weiterverpflichtungen ein hohes Maß an Kontinuität aufbieten können. Neue Kader brauchen erfahrungsgemäß mehr Zeit.
Woran muss das Team bis zum Saisonstart noch arbeiten?
Mein Augenmerk liegt auf den Grundlagen der Defensive, weshalb wir gewisse Offensivsysteme noch einüben müssen.
Sind die Kaderplanungen zum jetzigen Zeitpunkt abgeschlossen oder sind die BasketBären noch auf der Suche nach einem weiteren Spieler?
Ich vertraue dem aktuellen Kader. Wir halten uns diese Option jedoch offen. Ein solcher Spieler muss jedoch in die bisherige Struktur und die sich bildende Teamchemie hineinpassen. Wenn ein solcher Spieler zur Verfügung steht, ist eine Nachverpflichtung möglich.
Welche Vereine zählen zum Favoritenkreis in der diesjährigen ProB-Süd?
Es gibt wie immer eine Reihe an Teams, die den Aufstieg anvisieren. Durch die Playoffs hat der Basketballsport jedoch etwas Unkalkulierbares. Du kannst sechs Monate lang das beste Team der Liga sein. Doch kurz vor den Playoffs verletzt sich ein Spieler und man scheidet in der ersten Runde aus. Es ist daher müßig, Vorhersagen zu treffen.
Und wie definieren Sie das Saisonziel der Licher BasketBären?
[Antwort lachend auf Deutsch] Wir müssen von Spiel zu Spiel denken. Das ist eine beliebte Phrase. Aber sie hat einen wahren Kern!
Das Gespräch führte für die Licher BasketBären Sebastian Kilsbach.